Sirup aus Stadtfrüchten - Interview mit Fräulein Frucht

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Fräulein Frucht (FF) ist eine Neuköllner Manufaktur, die in Berlin Wildblüten und Wildfrüchte sammelt und daraus nach altbewährten Familienrezepten feinen Sirup und Likör herstellt. Hinter Fräulein Frucht steht die aus Hamburg stammende Wahlberlinerin Celest Drosihn. Wir haben sie interviewt.

Fräulein Frucht

m: Celest, erzähl uns mal, was du machst und wie du auf die Idee gekommen bist.

FF: Bis vor zwei Jahren war ich in der Schulsozialarbeit tätig, war aber nicht ganz zufrieden mit der Arbeit und habe aber schon während dieser Zeit nach einem Ausstieg für mich gesucht. Ein Freund hat mir am Neuköllner Schifffahrtskanal Holunder gezeigt und ich habe dann meinen ersten Sirup gemacht. Etwa zu der Zeit habe ich mundraub.org entdeckt und begonnen, diese Orte aufzusuchen. Ich habe mit vielen Früchten und Rezepten herum probiert und der Inhaber eines Restaurants in Neukölln hat mir seine Küche angeboten, um meine ersten Sirupe zu produzieren. Seitdem stehen die Produkte auch im Regal einiger Geschäfte in der Nähe.

m: Du sammelst die Zutaten für deine Produkte selbst und recyclest auch Glasflaschen. Du könntest ja auch abgelaufenes Obst z.B. über foodsharing beziehen und es dir damit einfacher machen. Was treibt dich an, diese Mühe aufzuwenden?

FF: Ich finde es schade, dass so viel vergammelt und die Leute kein Auge für diese Stadtfrüchte zu haben scheinen. Für mich macht das total Sinn, das ist gut für die eigene Wahrnehmung, aber auch für die Umweltbilanz. Ich weiß, wo es herkommt, es schmeckt anders als aus dem Supermarkt - auch weil ich nur reife Früchte ernte. Mir ist auch aufgefallen, dass es viele Produkte gar nicht auf dem Markt gibt, z.B. solche aus Schlehen, Holunder- oder aus Fliederblüten. Bei Flieder muss man z.B. jede einzelne Blüte abzupfen, da die Dolden bitter sind. Das macht für marktgängige Sachen den Aufwand viel zu hoch.

m: Du verwendest ganz bewusst das, was die Stadt an freien Ressourcen hergibt und es hat ganz viel mit Geschichten, Orten und Menschen zu tun. Das ist ja schon fast spirituell. Spielt das für dich eine Rolle?

FF: Ich finde es total toll, in meinem Kiez zu ernten. Ich bin auch jemand, der mit Pflanzen redet (lacht). Wenn ein Baum blüht, sage ich “Hallo, dir gehts gut, was?” Oder als im Görlitzer Park die Mirabellenbäume abgeholzt wurden habe ich den letzten verbliebenen angeschrien “Was ist hier passiert?” Ja, dieser Bezug ist wichtig für mich. Ich ernte auch nie alles, sondern lasse immer etwas für andere Menschen und Tiere übrig.

Produkte von Fräulein Frucht

m: Wie müssen wir uns einen Arbeitstag bei Fräulein Frucht vorstellen?

FF: Wenn ich morgens losziehe, habe ich am Abend vorher schon meine Route geplant. An einem Fliedertag geht es sehr früh raus, da dann noch der Blütenstaub dran ist. Ein Bauer beginnt ja auch mit der Ernte, wenn es noch dunkel ist. Ich ernte dann ein bis zwei Stunden, dann geht es in die Produktionsküche, wo ich einlege, koche und abfülle. Etiketten drucke und klebe ich einen Tag später drauf. Es kommt immer drauf an, was ich verarbeite: Sirup muss zwischen 12 Stunden bis zu vier Tage ziehen, bevor er eingekocht wird. Es ist also kein Tag wie der andere.

m: Was sind deine Favoriten und worauf stehen deine Kunden ganz besonders?

FF: Mein Favorit ist auf jeden Fall Holundersirup mit Damascena-Rose. Beide sind im Mai reif, weshalb ich beides auch zusammen verarbeiten kann. Hier gibt es viele Stellen im Park, wo ich beides finde. Im Moment geht Spitzwegerichsirup sehr gut, wahrscheinlich, weil gerade Erkältungszeit ist. Ich würde sagen, dass zwei Drittel der Kunden das Saisonale und Regionale schätzen, andere finden es eher befremdlich oder denken, dass Stadtfrüchte zu sehr mit Schadstoffen belastet sind. Aber gut, dass ihr die TU-Studie über Schadstoffbelastung auf eurer Seite habt, die kann ich auf dem Markt immer schön zitieren.

m: Hast du eine Geschichte, die du auf deinen Streifzügen oder bei Gesprächen erlebt hast, die dir in besonderer Erinnerung geblieben ist?

FF: Mir ist schon oft passiert, dass mich Leute beim Ernten beobachten und dann einfach mitgemacht haben. Einer fragte mich im letzten Sommer, ob der Kirschbaum neu sei, da er seit 20 Jahren gegenüber wohnt und ihn noch nie wahrgenommen hat. Nee, mein ich, der ist schon immer da (lacht). Bei mir am Stand war vor kurzem eine verhüllte Araberin, die hat meinen Damascena-Rosen-Sirup probiert und fing an zu weinen. “Wie bei meiner Oma” sagte sie. Das hat bei ihr wohl eine starke Erinnerung ausgelöst.

m: Wo kann man dich und deine Produkte finden?

FF: Ich stehe auf verschiedenen Märkten in Berlin - Mauerpark, Neuköllner Stoff… Seit einer Woche habe ich einen Online-Shop, da ist noch einiges zu tun, aber der Anfang ist gemacht.

m: Du hast ja inzwischen einige Preise bekommen, zum Beispiel für deinen Mahonien-Sirup, der sogar Jurorin Sarah Wiener überzeugt hat. Glaubst du, dass hier nicht nur Geschmack sondern auch die Herkunft deiner Rohstoffe eine Rolle gespielt hat?

FF: Beides! Markus Semmler - ich glaube, der hat zwei Michelin-Sterne - hat mich auf einem Markt entdeckt und für die Süße Schnecke 2016 vorgeschlagen. Er fand das Konzept gut und hat auch verstanden, dass es Mahonien-Sirup eben nur aus Manufakturen gibt und nicht im normalen Handel. Die wenigsten wissen auch nicht, dass es keine Produkte aus Schlehen oder Kornelkirschen zu kaufen gibt, da der Aufwand viel zu hoch ist.

m: Welche Pläne hast du mit Fräulein Frucht für die Zukunft?

FF: (Denkt länger nach) Ich möchte nicht mehr von Märkten leben müssen. Das macht mir zwar viel Spaß und ist wichtig für meine Mission, aber mit vielen Unsicherheiten und Stress verbunden. Ich möchte, dass der Online-Shop funktioniert und vielleicht kann ich auch mehr Feinkost- oder Spezialitätengeschäfte überzeugen. Im Moment sind die Produkte sehr mit mir als Person verbunden. Die Idee, das Konzept steht nach wie vor im Vordergrund, aber ich muss es ja nicht jedem ins Gesicht schreien (lacht). Ich kann mir auch gut einen eigenen Laden vorstellen.

m: Ich finde es faszinierend, wie du aus eigener Kraft und ohne Kapital, einfach “mit dem, was da ist”, eine eigene Existenz aufbaust. Das wäre ja durchaus eine Blaupause für Menschen in anderen Städten. Siehst du in so einem Falle Bedarf, dass hier besondere Sammelgenehmigungen geschaffen werden sollten? Können wir als mundraub.org hier unterstützen?

FF: Ich denke, dass mehr essbare Pflanzen in Städten wichtig sind. Es wäre doch super, wenn in jeder Stadt zwei bis drei Menschen von so einer Idee leben könnten und sich eine Existenz aufbauen. Die müssen dann nicht mehr zum Amt und könnten einen Traum verwirklichen. Was ich mache ist ja auch ein Stück Kulturarbeit, wenn ich mit den Leuten bei meiner Arbeit rede und sie ein bisschen zum Nachdenken anrege. Wir reden doch alle von Nachhaltigkeit, aber so richtig machen wir es nicht. Im Moment ist es doch sehr klein, was ich mache. Falls es sich in anderen Städten verbreitet, müssen da sicher Regeln verändert werden.

m: Willst du unseren Lesern noch etwas mit auf den Weg geben?

FF: Geht selber mal ernten und macht was draus. Nehmt eure Kinder mit. Ich empfehle immer eure Seite.

m: Also Geh raus, deine Stadt ist essbar?

FF: Ja.

m: Danke für das Gespräch!

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Anmerkung der Redaktion
Wenn du wilde Obstbäume beernten und daraus etwas produzieren möchtest, musst du dich zuvor beim zuständigen Amt für Umwelt- und Naturschutz oder Grünflächenamt melden und eine Genehmigung einholen. Zwar brauchst du für die Entnahme von Pflanzen auf öffentlichen Flächen für den persönlichen Bedarf keine Genehmigung , für den gewerblichen Zweck jedoch schon. Näheres regelt das BNatSchG §39 Absätze 3 und 4, auf das wir auch in Mundräuber-Regel Nummer 2 verweisen.