Sammeln statt vergammeln - mundraub-Erntecamp #2


Von logistischen Meisterleistungen, vergessenen Früchten und aussterbenden Alleen - das zweite mundraub-Erntecamp im Western Havelland hat 6 Tonnen Äpfel zur Mosterei Ketzür, frischen Wind für den Erhalt regionaler Obstbestände und eine Unbekannte gebracht.

Das zweite Camp war eine logistische Herausforderung - die wir gemeinsam mit unseren fleißigen Helfern und Helferinnen knackig gestemmt haben. Die Mosterei in Ketzür, die Obstbaumallee vor den Toren der Dörfer und unsere Unterkunft im Ortskern von Haage - wir haben über die zwei Tage einige Kilometer zurückgelegt. Eine schöne Gelegenheit, die Gegend ein wenig zu erkunden und den gut gefüllten Magen auszuführen, bevor es wieder ans Apfelernten ging. Ein Abend am Lagerfeuer, leckerer Schmaus in Saus und Braus, ermöglicht durch Essensgutscheine der Bio Company und Selbstgepresstes aus eigener Ernte -  ein Wochenende, das Muskelkater, viele schöne Erinnerungen, 6 Tonnen Äpfel und eine Unbekannte hinterlässt.

In Vergessenheit geraten - Brandenburger Obstalleen

Die Alleen der Kreisstraßen in Haage und Senzke sind nicht nur reich an Äpfeln - geschichtsträchtig ist jeder Ast der 80 Jahre alten Bäume, die Anfang der 1930er Jahre zur Sicherung der Obst- und Vitaminreserven der ländlichen Bevölkerung gepflanzt wurden. Ein Mensch, der den Wert dieser Naturschätze erkannt hat, ist der Bürgermeister der Gemeinden Haage, Senzke und Wagenitz, Herr Rehder. Er war es auch, der uns mit offenen Armen empfangen und das zweite Ernte-Camp in der Gemeinde Mühlenberge ermöglicht hat.

Die Alleen (nicht nur in dieser Region) müssen sich gegen viel Kritik behaupten - wenn sie nicht gänzlich verschwinden. Die herunterfallenden Äpfel gefährdeten den Verkehr durch verunreinigte Fahrbahnen und angelocktes Wild, so ruft es aus öffentlicher Hand. Dabei handelt es sich nicht selten um wenig befahrene Straßenzüge und richtige Pflege und Ernte könnten Abhilfe schaffen. Die Zeiten, in denen das frische Obst als segensreiche Süßigkeit und Vitaminspender wertgeschätzt, gesammelt und gepflegt wurde, scheinen vorbei. Was den Eigenbedarf ganzer Ortschaften decken könnte, verrottet, wird verschnitten und vernachlässigt und zu großen Teilen nicht wieder nachgepflanzt. Ganze Generationslöcher an ertragslosen Jahren entstehen so. Die Jahrzehnte der schmalen Nachpflanzungen werden sich schon bald bemerkbar machen. Die dekorativen Zieräpfel, die hier und dort gepflanzt werden, können Apfelfreunde und -Freundinnen da nur wehmütig stimmen.

Regionale Zusammenarbeit und individuelles Bewusstsein fördern

Herr Rehder, viele der Anwohner und Anwohnerinnen und die Mundräuber-Bande sind sich einig, dass hier Handlungsbedarf besteht. Die Ernte-Camps rütteln vereinzelt an Alleen, um Gemeinden und ihren traditions- und nährstoffreichen Alleen und Wiesen zu neuer Aufmerksamkeit und sorgfältigerem Umgang zu verhelfen bedarf es jedoch einer Menge Überzeugungs- und Handarbeit. Im Rahmen der Bundesgartenschau 2015 Havelregion, können zu mindest die vergessenen Früchte in unserem Saft, dem BUGALOO, zu neuer Strahlkraft gelangen.

Nicht nur aus ökologischen Gesichtspunkten sind Neupflanzung und Erhalt der Alleen sowie die heimische Ernte gegenüber dem oft importierten Saftkonzentrat vorzuziehen und auch die individuellen gesundheits- und gemeinschaftsfördernden Aspekte der eigenen Ernte, Pflanzung und Pflege des Baumbestandes im ländlichen Raum verhelfen regionalem Fruchtgut in öffentlicher Hand zu besten Noten.

Keine Angst vor öffentlichen Obstbeständen

Für regional verankerte Mostereien sind heimische Obstbestände überlebenswichtig und auch Obstbauern sollten das Fruchtgut am Wegesrand nicht fürchten. Intensivierte Partnerschaften zwischen den regionalen Akteuren und der ortsansässigen Bevölkerung schüren das Bewusstsein für Verarbeitungsketten und Arbeitsaufwand. Wer selbst einmal an Bäumen gerüttelt, in Kronen geklettert, gesammelt und schließlich gepresst hat, weiß das saftige Frisch und seine Endprodukte zu schätzen. Gemeinschaftliches Ernten führt zur Wertschätzung der Bestände und bewussterem Konsum - der Produkte, aber auch der Landschaft.

Nicht alle haben gesicherten Zugang zu Obstbeständen oder die zeitlichen Ressourcen zur Weiterverarbeitung und Ernte. Beinahe jede*r greift jedoch immer wieder ins Saftregal. Ein Einsatz auf unseren Erntecamps oder ein Besuch an einem der mundraub-Fundorte können schnell dafür sorgen, dass der Griff zu regionalen Produkten geht und ein Baum eben nicht nur ein Baum ist. Die Attraktivität der Region für den Tourismus, die Stärkung der regionalen Gemeinschaft, die Öffentlichkeitsarbeit für Mostereien und Obstbauern - all das können die Ergebnisse gemeinsamer Ernte und Öffentlichkeitsarbeit für die heimischen Bestände sein.

Der geheime Unbekannte

Das zweite Camp hat uns ein Rätsel mit auf den Weg gegeben - um welche Apfelsorte handelt es sich bei unserer Ernte? Sorteninfos liegen weder dem Landkreis noch der Gemeinde vor. Ein weiteres Indiz dafür, dass alte Sorten nach und nach in Vergessenheit geraten. Und weil Geheimnisse so spannend sind haben wir ein paar Äpfel an Jürgen Sinnecker (Der Apfelmann), einen Brandenburger Pomologen, geschickt. Vielleicht kennt er diese Sorte ja, die Bäume wurden in den 30er Jahren gepflanzt, die Früchte geben einen leckeren Saft, den nun auch die Gemeinde zum ersten mal probieren darf - 150 Liter gehen als Dankeschön nach Mühlenberge.

Der Apfelmann hat die Nuss geknackt: Neben dem Ontario wächste vor allem der Rheinische Bohnapfel an der Apfelallee bie Haage und Senzke. 

Mit unseren Camps, Projekten wie der 1. mundraub-Region Hasetal, Mosterei-Profilen und der Zusammenarbeit mit der Bundesgartenschau 2015 können wir einen ersten Beitrag zur Sensibiliserung und Wertschätzung von Bestandsschutz und die Verwertung vergessener Früchte verzeichnen. Wir freuen uns auf weitere spannende Projekte und bedanken uns bei allen Helfenden, der Gemeinde Mühlenberge und Petrus!

Sammeln statt vergammeln und lasst die Sonne rein!

Eure Mundräubaz